„3 Mountainbike Spots in der Schweiz, die ihr kennen solltet“ – eigentlich ist diese Überschrift eine Lüge. Nicht wegen ihrer Grundaussage, denn die ist mehr als korrekt. Aber um es genau zu nehmen sind es sogar sieben Bikespots: Sieben einzelne Orte, die sich mit ihren jeweiligen Nachbarn im Sommer und Winter zu Verbünden zusammen getan haben. Und um es noch genauer zu nehmen, befinden sie sich alle sieben nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Graubünden – vermutlich dem Schweizer Kanton, der das Potential beim Thema Mountainbike am frühesten erkannt und touristisch genutzt hat.
Graubünden ist DAS Trailschlaraffenland – gesegnet mit einer weiten Bergwelt und bewohnt von Menschen mit großer Bikebegeisterung und entsprechendem Know How. 4.000 Kilometer Bikepfade durchziehen Graubünden: einst angelegt von Römern, Jägern, Sennern oder dem Vieh, heute ausgebaut und gepflegt von Trailcrews. In Graubünden gehört das gesamte Wegenetz (auch) den Mountainbikern – egal ob Wanderweg, Forststraße, Trail oder Steig, egal ob flowig fahrbar oder so schwer, dass jede Schwierigkeitsskala gesprengt wird.
Steine, Wurzeln, Sand. Gipfelgrate, Waldlichtungen, Almwiesen. Gondeln, Uphill-Trails, Tragepassagen. Wer hier nichts nach seinem Geschmack findet, der sollte das Bike vielleicht lieber verkaufen. So abwechslungsreich wie in Graubünden, fährt man in anderen Regionen selten.
Wo Mountainbiker verstanden werden
„Es ist fast ungewohnt, sich mal nicht wie der ungeliebte Schwiegersohn vorzukommen“, sagt mein Freund Florian schon an unserem zweiten Tag in Graubünden. „Wenn du hier jemandem erzählst: 'Ich bin Mountainbiker', ist ziemlich wahrscheinlich, dass er dann genau das darunter versteht, was du wirklich machst“, pflichte ich ihm bei und versuche dabei die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der hier Bikern begegnet wird zu erklären. Während manche Tiroler Destination in der Werbung „Spaß, Abwechslung und Herausforderung für jedes Können“ versprechen aber über Schotterstraßen hinaus nichts zu bieten haben, weiß man in Graubünden einfach wovon man spricht.
Und nicht nur das. Man denkt Dinge zu Ende und macht sie – auf gut bayerisch – gscheid: von den Bikehalterungen an der Gondel über die Waschplätze bis zur echten Freundlichkeit beim Liftpersonal. Mountainbiken ist hier nicht nur das minderwertige Ersatzprogramm für die Cashcow Wintersport. Die Sommerinfrastruktur wird nicht nur in der schneefreien Zeit mal gschwind und eher schlecht als recht hinimprovisiert. Alles scheint dir irgendwie entgegen zu rufen: „Hey Mountainbiker, he Mountainbikerin, du bist einer, eine von uns, hier bist du willkommen!“
Auch beim dritten Mal nicht langweilig: Davos Klosters
„Herzlich Willkommen im Singletrail-Paradies der Alpen, wo Trail-Toleranz gelebt wird,“ so steht es selbstbewusst in der Touri-Broschüre von Davos Klosters. Wie sehr mich die Trail-Toleranz und ihre Umsetzung bei meinem ersten Besuch in Davos Klosters begeistert hat, ist HIER schon ausführlich beschrieben. „Du bist einfach auch da. Alle wissen das und es ist auch voll ok,“ stellt auch Florian verwundert fest, der zum ersten Mal hier ist. Und wie zur Bestätigung bemerken zwei nette Schweizerinnen im Rentenalter bei der gemeinsamen Gondelfahrt, dass hier doch nun wirklich genug Platz für uns alle sei – für uns mit unseren Bikes und für sie zu Fuß.
Wir übernachten in Klosters bei meinen Freunden Flavio und Jürg. Jürg – der Bikeverücktere von beiden – kann uns zwar nicht begleiten, aber ich habe am Abend beim Bier eine lange Liste mit den Empfehlungen des Wahl-Locals in mein Handy getippt. Sie hat fast 30 Punkte und ich muss scrollen, wenn ich sie durchlesen will. Ist ein Trail erledigt, mache ich einen fetten schwarzen Haken dahinter.
Viele dieser Trails sind auch Teil der berüchtigten Bahnentour mit 10.000 Tiefenmetern und 100 Trailkilometern, die ganz Motivierte an nur einem Tag runterreißen. Ebenso berühmt ist der längste Singletrail der Schweiz, der vom internationalen Mountainbike Verband (IMBA) als „epic“ geadelte Trail vom Jakobshorn über Monstein und Jenisberg bis nach Filisur. Natürlich musste ich die Berühmtheit gleich bei meinem ersten Besuch in der Schweiz abhaken – und ich kann bestätigen, er ist wirklich episch.
Seitdem steht Davos Klosters ganz oben, auf der Liste meiner persönlichen Lieblingsbikespots: Aussichtsreich, weit, naturbelassen, fordernd. „Mit Flow ist jetzt Schluss“, hat Jürg gesagt, als wir gestern direkt aus Alta Badia ankamen, wo die letzten Jahre verstärkt in einfache Trails für die ganze Familie investiert wurde. Jetzt haben wir wahrlich das Kontrastprogramm: Brämabüel, Signal und Chalbersäss. Trails, wo ich an so mancher Stelle zwei, drei Mal hochschiebe, bevor ich die Stelle durchfahre – oder eben doch aufgebe.
Mehr soll es an dieser Stelle zu Davos Klosters gar nicht sein, schließlich habe ich den dortigen Trails HIER schon genug Aufmerksamkeit gewidmet. Nur noch ein kleiner Tipp zum Schluss: unbedingt Kuchen essen im KaffeeKlatsch! UNBEDINGT!
Films Laax Falera: Erdgeschichte, Slickrocks und urbane Coolness
Laax war bei mir im Kopf immer abgespeichert als das Gebiet, das im Winter die Freestyler glücklich macht – der Ort, an dem die ganz Coolen abhängen. Mit der Freestyle Academy gibt es eine Trainingshalle für Freeskier, Snowboarder, Skateboarder, Parcours-Läufer und Trampolin-Fans, gleich nebenan steht das rocksresort, eine eigene kleine Stadt mit hippen, urbanen Appartements, coolen Restaurants und Shops und oben am Berg trainieren internationale Stars in der 200 Metern langen, größten Halfpipe der Welt. Insgesamt liefert Laax einen Spielplatz, für den Mancher in Südbayern oder Tirol töten würde und der vielfach ausgezeichnet wurde: Fünf Awards gab es für das beste Skigebiet der Schweiz und zwei für das beste Freestyle-Resort der Welt. Und Flims Laax Falera hat auch schon ein neues Ziel: die erste selbstversorgende, CO2-neutrale Alpendestination zu werden. Der benötigte Strom kommt bereits jetzt nachhaltig aus Solarenergie und Wasserkraft.
Verantwortlich für diese, auf eine junge Zielgruppe abgestimmte Tourismusstrategie ist Reto Gurtner. Der 64-Jährige ist der nicht ganz unumstrittene Mehrheitseigner der Weissen Arena Gruppe, zu der über 100 Quadratkilometer Berg, 28 Bahnanlagen, fünf Hotels, 22 Gastrobetriebe, sieben Verleihshops und etliche Ski- und Snowboardschulen in Flims Laax Falera gehören. Den Grundstein für das Imperium legte sein Vater Walter, der eigentlich Metzger war, aber in Laax ebendiese 100 Quadratkilometer Berg pachtete und Lifte und Gaststätten darauf stellte.
Das wars dann aber auch schon, was ich über Laax wusste. Irgendwie fand ichs aus der Ferne cool, aber dachte auch, dass ich raus aus dem Alter bin. Was ich NICHT wusste war zum Beispiel, dass Flims ein UNESCO Weltnaturerbe beherbergt – in dem man wie sonst selten die Entstehungsgeschichte der Erde und die Verschiebung der Kontinentalplatten nachvollziehen kann: die Tektonikarena Sardona. Hier kann man sehen, wie sich vor Millionen von Jahren eine Kontinentalplatte über die andere geschoben hat: Die ältere, bis zu 300 Millionen Jahre alte afrikanische Schicht liegt hier über der jüngeren, rund 50 Millionen Jahre alten europäischen Schicht – getrennt durch eine helle Kalklinie. Welche Kräfte dabei gewirkt haben, sieht man an der Zackenkrone des Gebirgskamms, den Tschingelhörnern und an einem natürlichen Loch in der Felswand, dem Martinsloch.
An unserem ersten Tag in Flims Laax Falera bekommen wir das Weltnaturerbe direkt zu sehen: Wir nehmen zwei Sessellifte und fahren den ersten kurzen Abschnitt des gebauten, flowigen Runcatrails, um dann in die Graubergbahn zu steigen. Von der Bergstation haben wir besten Ausblick auf Sardona, Tschingelhörner und Segnesboden mit seinen mäandernden Wasserläufen und unser Guide Raffi gibt uns eine kleine Stunde in Erdgeschichte. Dann kurbeln wir weiter hinauf, knapp 500 Höhenmeter, bis wir zum Vorab Gletscher kommen. Oben kündigt ein Schild an, dass der Schweizer Mountainbiker und Red Bull Kommentator Claudio Caluori und der Trialbike-Schotte Danny McAskill den nun folgenden Trail auch schon unsicher machten – dann gehts hinab, durch Terrain, das für Mitteleuropäer erst einmal ungewohnt ist: Der Trail führt über die vom Eis und Wasser des Gletschers polierten Felsen. Slickrock heißt das im Mountainbike-Sprech, angelehnt an DEN Slickrock Trail in Moab, Utah. Doch so slick sind die Felsen gar nicht, im Gegenteil, sie haben ordentlich Grip und es geht spaßig durch die karge Felslandschaft.
Bald machen die Felsen links und rechts grünen, saftigen Wiesen Platz und die runden Felsen werden immer seltener bis wir auf der Plaun-Ebene herauskommen. Was für ein Trail! Dabei geht es noch weiter, ins Green Valley – wir tauchen ein in den Wald und aus Steinen werden Wurzeln. Am Ende kommen wir am Lag Prau Pulté vorbei, der im Herbst meist komplett austrocknet, über die letzten Meter des Runcatrails zurück nach Flims. Wow. So lang, so aussichtsreich, so vielseitig, so gut!
Zum Tagesausklang sitzen wir mit unserem Guide Raffi noch im Ella, einem Restaurant direkt an der Talstation in Flims. Die Einrichtung ist so hip und alternativ wie in Cafés im Münchner Glockenbachviertel, inklusive Co-Workingspace, und auch die Karte könnte dort genauso aussehen: bio und ohne Fertigprodukte, von der Bowl bis zum Cheese Cake. Nach dem Essen bummeln wir durch den Fahrradladen – oder besser: Mountainbike-Palast – direkt gegenüber. Natürlich wird auch hier lediglich der Skiverleih im Sommer auf Bike-Bedürfnisse umfunktioniert, aber es hängen nicht nur lieblos zwei XL-Trikots neben zehn runtergekommenen Testrädern. Dieser Mountainbike-Palast ist königlich ausgestattet: eine riesige Leih- und Testflotte von Trek, wirklich coole Bike-Klamotten, die auch noch so präsentiert werden, dass man Lust aufs Shoppen bekommt und eine Ersatzteilauswahl, die Bike-Nerds glücklich macht (Florian: „Boah, die haben Cushcore Tire Inserts.“).
Warum nur haben die Graubündner das Thema Mountainbike so viel besser drauf als wir?! Zwei Tage später bekomme ich auf diese Frage auf der Lenzerheide zumindest ein bisschen eine Antwort.
Fest steht aber an diesem Abend schon: Tag zwei in Laax wird es schwer haben, die Erlebnisse von heute zu toppen. Prompt haut uns der gebaute, siebeneinhalb Kilometer lange Neverend Trail vom Crap Sogn Gion erstmal nicht aus den Schuhen, auch der flowige Runcatrial ist eigentlich nur im unteren Drittel nett – da aber dann so richtig. Der verblockte Crest La Siala, eine der finalen Stages der Trail Trophy ebenfalls am Crap Sogn Gion, ist mit seinen engen Spitzkehren schon eher nach unserem Geschmack – vor allem weil wir danach ein weiteres Mal über die Plaun-Ebene ins wurzelig-spaßige Green Valley abtauchen können. Nach dem Lag Prau Pulté nehmen wir diesmal nicht den Runcatrail, sondern fahren direkt nach Laax, wo wir Bio- gegen E-Bike tauschen und in Richtung der Aussichtsplattform il Spir aufbrechen. Nach ein paar Uphill-Metern auf Schotterweg erwarten uns feine Wurzeltrails direkt an der Abbruchkante der Rheinschlucht entlang. Immer wieder geben die Bäume den spektakulären Ausblick frei, den man aber von il Spir aus auch in Ruhe bewundern kann.
Die Rheinschlucht entstand vor fast 10.000 Jahren nach dem Flimser Bergsturz – weltweit einem der derzeit größten bekannten Bergstürze überhaupt, bei dem sieben Kubikkilometer Fels zwischen dem Flimserstein und dem Piz Grisch abbrachen und Teile des Vorderrheintals unter sich begruben. Über den türkisblauen Caumasee, eines DER Flimser Wahrzeichen, fahren wir zurück ins rocksresort. Diese Tour sollte man besser nicht an Wochenenden in der Hochsaison unternehmen, sonst wird der Trailspaß zu oft von Wanderern ausgebremst. Und noch ein Tipp obendrauf: Wer Insiderinformationen und Tipps vom Local will, der sollte in der Laax School unbedingt nach Raffael Jacob fragen. Der Mann macht als Guide einen wirklich guten Job!
Arosa Lenzerheide: Zwischen Weltcup-Niveau und Entflechtung
Für uns geht es nach der aussichtsreichen E-Bike-Runde aus einem hippen Hotel weiter in das nächste: vom rocksresort in die Revier Mountain Lodge in Lenzerheide. Das minimalistische Hotel direkt neben der Talstation Rothorn kenne ich schon von einem Evoc Pressetrip im Winter: Zimmerservice, Minibar und Rezeption hat man sich hier gespart. Dafür gibts eine lässige Bar mit Bieren aus aller Welt, in der offenen Showküche werden Burgerpatties gebrutzelt und jedes Zimmer hat ein raumfüllendes Bett direkt am Fenster mit Blick auf den Heidsee. Ein Waschplatz für Bikes, Waschmaschine und Trockner für die Klamotten und ein großer Raum für die Räder sind im Mountainbikerfreundlichen Graubünden sowieso Standard.
„Servicequalität“, nennt das Pascal Krieger, der in Lenzerheide als Kampagnen- und Projektplaner fürs Thema Mountainbike zuständig ist. „Es reicht nicht, wenn man eine Bergbahn hat, zu ihrer Aktivierung einen Trail baut und sagt: Wir haben jetzt was für Mountainbiker getan. Es braucht viel mehr! Der Bergbahn muss bewusst sein, dass ihre Mitarbeiter jetzt Fahrräder hochheben müssen, den Hotels muss klar sein, dass der Eingang schmutzig werden kann, weil Fahrräder reingeschoben werden, und so weiter – das kommt nicht von heute auf morgen, sondern ist eine Entwicklung.“ Vorbilder für Lenzerheide sind ausländische Destinationen wie zum Beispiel Whistler: „Da kommt man in einen Ort voller Gleichgesinnter, macht nur einmal das Portemonnaie auf und bekommt alles Erdenkliche zum Thema Mountainbike,“ erklärt Pascal.
In Lenzerheide sind das 500 Kilometer ausgeschilderte Touren, 900 Kilometer GPS-Touren, neun Bahnen mit Biketransport und 19 Bikehotels. Und urteilt man nicht nur nach kalten Zahlen, sondern ganz emotional nach unserem Wohlfühlfaktor, ist man seinen Vorbildern aus Übersee sowieso schon sehr nahe. Grundlage dafür war eine konsequente Entscheidung, erzählt Pascal Krieger: „2010 hat man zum ersten Mal laut darüber nachgedacht, Mountainbiken neu zu definieren. Bis dahin war Lenzerheide eine Wanderdestination. Aber alle Beteiligten – die Gemeinde, Bergbahnen, Hotellerie und Grundbesitzer – haben sich entschieden mit allen Konsequenzen voll am Thema Mountainbike zu arbeiten. Seitdem ist es die Nummer 1 im Sommer.“
Wer den MTB-Sport zur Nummer 1 macht, braucht auch Nummer 1 Sportevents, denn die bringen Zuschauer, die Aufmerksamkeit der Medien und in der Szene Authentizität: 2018 war Lenzerheide Austragungsort der Mountainbike-Weltmeisterschaft, fast jährlich finden dort Weltcups in allen Mountainbike Disziplinen statt. Den Downhill Weltcup, der während unseres Trips durch Südtirol auf der Lenzerheide gastierte, habe ich mir als Betthupferl am Laptop reingezogen. Dabei habe ich die Strecke ganz genau inspiziert: Ob ich den Rockgarden auch fahren würde? Und was wäre wohl die für mich machbare Linie? Ich nahm mir fest vor, es vor Ort genauer zu inspizieren. Gemeinsam mit unserem Guide Dario Lohner werfen wir einen Blick aus der Rothornbahn auf den Bikepark: Von der Mittelstation Scharmoin führen über eine Höhendifferenz von 400 Metern fünf Strecken bis zur Talstation: Von der einfachen und familienfreundlichen Flowline bis zur schwarzen Weltcup Strecke Straightline.
Aber wir haben Dario verraten, dass wir uns lieber auf Singletrails außerhalb von Bikeparks austoben und fahren deshalb weiter bis zur Bergstation, um als erstes den Trail mit dem klingenden Namen „Dark Side of the Moon“ unter die Stollen zu nehmen. Ein gebauter, steiniger und trotzdem flowiger Trail schlängelt sich mit Sprüngen und Anliegerkurven durch die mondähnliche Felslandschaft das Rothorn hinab.
Später gehts weiter auf angenehm anspruchsvollen Wiesen- und Waldtrails bis nach Churwalden. Wir nehmen die Panoramabahn, die uns auf der gegenüberliegenden Seite des Tales zu Trails bringt, die zu Florians Wettkampfzeiten noch Teil der Trail Trophy waren. Danach wieder mit der Rothornbahn bis zur Mittelstation und hinab nach Lenzerheide, wo wir eine Runde lang den brandneuen Pumptrack bewundern, um danach mit zwei Sesselliften bis zum Piz Scalottas zu kommen. Die letzten Meter zur Junes Hütte, wo wir Mittag machen, rollen wir auf einem sogenannten Entflechtungstrail, wie uns Dario erklärt: „Auf beliebten Strecken werden immer mehr Trails gebaut, die eher einfacher sind und den Zweck haben, Wanderer und Biker zu trennen.“ Das Motto ist zwar miteinander – aber wo es nicht geht, eben auf getrennten Wegen. „Ich habe das Gefühl, dass im Moment viele Trails gebaut werden, die einen anderen Stil haben, als die Trails, die man als guter Fahrer gerne fährt, weil sie einfacher sein müssen und massentauglicher. Aber ich glaube nicht, dass der Trend allzu lange anhält, weil es eben nicht nur Biker gibt, die gerne Flowtrails fahren,“ sagt Dario.
„Grundsätzlich ist es mal so, dass es DEN Biker nicht gibt,“ steht gleich auf einer der ersten Seiten der Bikebroschüre von Lenzerheide. Das gibt guten Grund zu hoffen, dass Dario recht behält. Bisher hält Lenzerheide zumindest für wirklich jeden Geschmack etwas bereit, wie uns auch die Älpliseetour nach Arosa und zurück am nächsten Tag beweist. Zuerst reiten wir erneut vom Rothorn auf der dunklen Seite des Mondes hinunter bis zur Galerie, kurz danach zweigt rechts ein Trail ab, der ebenfalls vom Wanderweg getrennt ist, von seiner Charakteristik aber so gar nicht „gebaut“ daher kommt. Auf ihm nähern wir uns dem Älplisee, wo wir Pause machen, und Fotos, deren Motivideen wir ganz frech von Pink Bike geklaut haben.
Danach wird der Trail nochmal anspruchsvoll, bis er auf die letzten Meter des neuen, flowigen Hörnlitrails mit seinen 113 Kurven mündet. Mit der Hörnlibahn schweben wir wieder bergan, essen auf der Hörnlihütte zu Mittag und genießen den besten Ausblick von einer Toilette EVER (Geheimtipp). Danach fahren – und später schieben – wir weiter Richtung Urdenfürggli. Wieder gegen Lenzerheide hinab steuern wir auf die Mittelstation zu, stoppen nur, um Murmeltierfamilien zu bewundern, lassen das Bergrestaurant Scharmoin links liegen und fahren auf einem technisch-wurzligen Auf- und Abweg Richtung Sanaspans Wasserfall. Die letzten Meter gehen wir zu Fuß, werfen einen Blick aufs hinabfallende Wasser und uns dann wieder zurück auf die Bikes und einen anspruchsvollen Trail Richtung Tal und Lenzerheide hinab.
Und dann wars das auch schon. Ende aus. Zwei Wochen biken in den Knochen, erst Südtirol, dann Schweiz. So viele Eindrücke, so lecker Essen, so viele Trails. So viel Flow, so viele Wurzeln, so viel Stein. Natürlich auch ein paar Stürze. So nette Locals, so gutes Wetter, so hübsche Hotels. Wo es am schönsten war? Irgendwie überall. Wenn ich mir eine Bikeregion bauen darf, nehme ich Landschaft, Ausblick, Essen, Service und Weinpreise aus Südtirol, bastel dazu meine Lieblingstrails aus Davos und Klosters inklusive der Freunde, die ich dort habe, die Vorab Tour und das Green Valley aus Flims und VIELE Trails von der Lenzerheide, streue den urbanen Style aus Laax oben drüber und buche Guides wie Dario oder Raffi on top. Dann hast du ihn, den perfekten Bikespot. Aber aufgeteilt auf zwei Wochen ist es nicht weniger perfekt – und ich habe ja noch längst nicht alles gesehen. Ob ich zum Beispiel den Rockgarden in Lenzerheide wirklich fahren könnte, muss ich nächstes Mal herausfinden...
Die GPS-Tracks zu allen Trails aus diesem Artikel findet ihr bei Kaddi auf Komoot.