Kein Talent und kein Geld? So bist du trotzdem ein Abenteurer!

Alastair Humphreys ist um die Welt geradelt, durch Indien gelaufen und über den Atlantik gerudert. Bekannt wurde er aber, weil er ganz gerne in seinem Garten übernachtet und darüber ein Buch geschrieben hat. Seither macht er Werbung für die kleinen Abenteuer nach Feierabend direkt vor der Haustür. Wir haben den Posterboy der Outdoorszene getroffen.

Als Kind wollte ich immer cool sein, mutig und unerschrocken. Egal ob Indianer, Superhelden, Meeresforscher oder Archäologen, sie waren ALLE mein Vorbild. Ich habe davon geträumt katzengleich von Dach zu Dach springen, mit dem Becks-Schiff das Bermudadreieck zu umsegeln und an bislang unentdeckten Orten Menschheitsrätsel lösen. Ständig habe ich mir ausgemalt wie mein abenteuerliches Leben aussieht, wenn ich erwachsen bin und meine Welt endlich größer ist als unser Hinterhof und ihr Gipfel höher als mein Stockbett. Mittlerweile bin ich groß genug, um zu wissen, dass das kleine Abenteuer nicht nur leichter umzusetzen ist, sondern manchmal sogar erfüllender sein kann als eine Nordpol-Expedition.

Alastair Humphreys – Posterboy der urbanen Outdoorszene


Alastair Humphreys
ging es in gewisser Weise ähnlich: Der Engländer ist um die Welt geradelt, durch Indien gelaufen und über den Atlantik gerudert. International bekannt wurde er aber, weil er ganz gerne mal in seinem Garten übernachtet und über solche Aktionen ein Buch geschrieben hat: „Microadventures: Local Discoveries for Great Escapes“. Mit seiner Microadventure-Philosophie hat er einen neuen Trend geboren und wurde zum Posterboy einer hippen, urbanen Outdoorszene. Seine Message: Du musst nicht in die verlassensten Ecken, auf die höchsten Berge oder in die raueste See – direkt vor deiner Haustüre kannst du noch nach Feierabend echte Abenteuer erleben und brauchst dafür weder besonders viel Geld noch die Fähigkeiten eines Extremsportlers.

Bei einem Microadventure seines Partners Haglöfs am Schliersee durfte ich den 41-Jährigen kennenlernen. Am Lagerfeuer erzählte er seine Geschichte so inspirierend, dass Ergänzungen der Redaktion und Nachfragen sie nur zerstört hätten. Deswegen lediglich übersetzt aus dem Englischen, Alastair über die großen und die kleinen Abenteuer im Leben:

Ein ganz normaler Typ

Als ich in die Universität ging, wollte ich unbedingt ein Abenteuer erleben, bevor ich einen Job antrete und im echten Leben ankomme. Ich hatte all diese Bücher gelesen, über unsere großen, englischen Abenteurer, die die Welt erkundeten und normalerweise dabei scheiterten oder sogar starben. Aber egal, es war schließlich immer eine gute Story!

Ich wollte auch so ein Abenteuer erleben, aber ich hatte so etwas noch nie vorher gemacht. Ich bin nur ein normaler Typ an der Uni. Und diese verrückten Männer und Frauen in den Büchern, die waren immer sehr stark, sehr unerschrocken, echte Athleten. So war ich definitiv nicht. Ich hatte kein besonderes Talent, um so etwas zu unternehmen. Für große Expeditionen oder Reisen braucht man schließlich bestimmte Fähigkeiten: Skifahren zum Beispiel oder Knoten binden. Ich hatte kein brauchbares Talent und keine brauchbaren Fähigkeiten – und weil ich Student war, hatte ich auch kein Geld. Aber Abenteuer, wie den Mount Everest zu besteigen oder den Nordpol zu erkunden, kosten viel Geld. Das war kein guter Start in mein Abenteurer-Leben.

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© Haglöfs

Kein Geld, kein Talent, keine Fähigkeiten

Ich hätte mir jetzt denken können: Leute wie ich können einfach keine Abenteuer erleben. Aber ich dachte in eine andere Richtung: Welches Abenteuer kann ich auch ohne Talent, besondere Skills und mit wenig Geld starten? Und so bin ich auf die Idee gekommen, mit meinem Fahrrad um die Welt zu fahren.

Ich hatte ein Fahrrad und ich wusste wie man es fährt. Ich hatte ein Zelt und ich wusste, wie man es aufstellt. Mehr braucht man nicht, um um die Welt zu radeln. Wenn du nur einen Tag lang Fahrrad gefahren bist und einmal ein Zelt aufgestellt hast, dann kannst du alles was man können muss, um um die Welt zu radeln.

Mit dem Fahrrad um die Welt

Ich war total aufgeregt und dachte: Jawohl, das mache ich! Ich radel um die Welt! Aber gleichzeitig war ich etwas eingeschüchtert: Die Welt war zu beängstigend, um dieses Abenteuer alleine zu starten. Also fragte ich meine Freunde: Wer kommt mit und radelt mit mir um die Welt? Alle meine Freunde, hielten es für eine dumme Idee. Aber die beste Option hatte ich noch: meine Freundin. Also ging ich zu meiner Freundin und fragte sie: Schatz, ich habe eine großartige Idee! Willst du mit mir um die Welt radeln? Sie sagte: Nein, und verließ mich. Also ging ich in den Pub und rief in die Runde: Ich werde um die Welt radeln! Alle feierten mich für meinen Plan, ich war der Held des Abends.

Die dümmste Entscheidung in meinem Leben

Da wurde mir klar: Ich habe keine Freunde, keine Freundin und habe gerade JEDEM gesagt, dass ich um die Welt radeln würde – da kam ich nicht mehr raus. Ich fuhr mit meinem Rad heulend die Straße runter und dachte: Das war die dümmste Entscheidung in meinem ganzen Leben!

Ich heulte den kompletten Weg durch England und dachte: Ich gebe bestimmt in Frankreich auf. Als ich durch Frankreich durch war, dachte ich: Ok, aber ich gebe bestimmt auf, wenn ich in Deutschland bin. Irgendwann bin ich in Istanbul angekommen, fuhr weiter nach Ägypten und von dort in den Sudan. Ich hatte richtig Schiss vor dem Sudan, weil ich dort durch die Wüste fahren musste und das kann man nur schwer trainieren, wenn man aus England kommt. Ich dachte die ganze Zeit: Ich sterbe bestimmt gleich, aber ich starb nicht und ich kam auf der anderen Seite der Wüste raus mit dem Gedanken: Vielleicht schaff ich es jetzt auch durch Afrika. Als ich in Kapstadt ankam und den Tafelberg sah, konnte ich es nicht glauben: Ich bin von meiner Haustüre in England bis nach Afrika gefahren. Und ich habe immer noch nicht aufgegeben. Das ließ mein Selbstbewusstsein in die Höhe schießen und ich verwarf meinen ursprünglichen Plan: Eigentlich wollte ich durch einen Kontinent fahren, dann in ein Flugzeug hüpfen und zum nächsten Kontinent fliegen, um dann durch diesen Kontinent zu radeln.

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© Alastair Humphrey

Boot statt Flugzeug

Aber ist es nicht viel schöner um die Welt zu kommen, ohne dabei die Erde zu verlassen? Also heuerte ich auf einem Segelboot an und segelte über den Atlantik nach Südamerika, radelte durch Patagonia, durch diese wilde, windige Schönheit, in die Anden, fuhr mehrmals vom Meer aus auf 5.000 Meter und zurück zum Meer, dann durch Bolivien und Kolumbien in die USA. An der Westküste der USA kam ich mir vor wie in einem Luxusurlaub. Amerika hat so fantastische Dinge wie Straßen oder Wasser, das man trinken kann, ohne direkt danach zu sterben, oder wiederauffüllbare Softdrinks an Tankstellen. Ich lebte wie ein König und ruinierte mir die Zähne bis ich in Kanada ankam.

Vom Bike ins Kanu

Im Yukon Nationalpark lieh ich mir ein Kanu und paddelte 800 Kilometer durch die Wildnis. Dabei sah ich so verrückte Sachen wie Grizzly Bären oder Adler. Dann stieg ich wieder aufs Bike und fuhr nach Alaska. Bis dahin war ich schon drei Jahre unterwegs und musste jetzt irgendwie über den Pazifik kommen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Aber ich habe gelernt, wenn man einfach immer wieder Leute fragt, dann findet man irgendwann jemanden der helfen kann. Also führte ich sechs Monate lang folgendes Gespräch: Hallo, schön dich kennenzulernen! Schöner Tag heute! Hast du ein Schiff?

Und irgendwann sagte jemand: ja! Also segelte ich über den Pazifik nach Sibirien. Über Sibirien wusste ich nur, dass es dort kalt ist und dennoch wollte ich im Winter durch Sibirien radeln. Es folgten drei Monate bei einer Temperatur von minus 40 Grad. Ich war froh, als ich aus Sibirien raus war, durch Japan radelte und dann nach China kam. Dort bin ich an der chinesischen Mauer entlang, nach Zentralasien und später durch die wunderschönen Länder Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Turkmenistan zurück nach Istanbul.

Heimkommen nach 73.000 Kilometern

Es war ein sehr komisches Gefühl durch England zurück zu dem Haus zu radeln, wo ich aufgewachsen bin. Zum ersten Mal seit Jahren wusste ich, wo ich hin will, ich musste nicht auf die Karte schauen. Zuhause ist ein großes Wort, aber nach einer so langen Zeit war es einfach großartig.

Als ich los fuhr, dachte ich nicht, dass ich diesen Trip durchziehen werde. Es war mir auch fast ein bisschen egal. Ich dachte, vermutlich radel ich nicht wirklich um die Welt, weil das echt weit ist, aber ich werde sicherlich interessante Dinge erleben, bevor ich abbreche und umdrehe. Es war für mich eine echte Überraschung, dass ich erst nach 73.000 Kilometer, 60 Ländern, fünf Kontinenten, vier Jahren und vier Monaten auf dem Rad zurück kam, dass ich ich wirklich um die Welt gefahren bin.

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© Out Of Office – www.oooyeah.de

Du musst es einfach nur machen!

Der ganze Trip hat mich gerade einmal 8.000 Euro gekostet. Es hat mir die Augen geöffnet, dass du nicht viel Geld brauchst, um große Abenteuer zu erleben. Du musst auch kein Experte sein, du musst es einfach nur machen! Ich war keine andere Person nach meiner Reise, ich hatte immer noch die selben Freunde, ich hatte mich kaum verändert. Das Einzige, das sich verändert hat, war mein Selbstbewusstsein. Vor der Reise habe ich mein Können heruntergespielt, mich selbst klein gemacht: Ich kann das nicht, weil ich kein Geld und kein Talent habe, weil Leute wie ich sowas einfach nicht machen können. Jetzt kam ich zurück und dachte: Ich habe etwas großartig gemacht, was kann ich als nächstes tun?

Neue Abenteuer, neue Sportarten: Laufen und Rudern


Am Fahrradfahren
hat mir gefallen, dass es langsam ist, einfach und schmerzhaft. Ich beschloss, etwas zu machen, das noch langsamer, noch einfacher und noch schmerzhafter ist als Radfahren: Laufen! Ich lief durch Südindien, ohne Plan, ohne Vorbereitungen, der ganze Trip von Küste zu Küste hat mich gerade mal 600 Euro gekostet – inklusive Flug. Das Leben ist sehr günstig, wenn du gerne draußen schläfst. Ich habe aber auch teurere Expeditionen unternommen: nach Grönland oder an den Nordpol. Außerdem habe ich den atlantischen Ozean mit einem kleinen Ruderboot überquert. Ich bin immer zwei Stunden gerudert, was super langweilig und gleichzeitig total anstrengend ist, und habe mich zwei Stunden ausgeruht. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Was mir vorher nicht klar war: Das Rudern ist der leichte Part. Schwer daran war, dass man nie mehr als zwei Stunden Pause hatte. Du bekommst also nie mehr als eineinhalb Stunden Schlaf und es setzt sich eine Erschöpfungsspirale in Gang. Irgendwann bekommst du Halluzinationen und wirst verrückt in deinem kleinen Boot auf dem riesigen Ozean. Wenn ihr ein großes Abenteuer plant, kann ich über den Atlantik rudern definitiv empfehlen, aber ich komme nicht mit!

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© Alastair Humphrey

Mir haben Leute geschrieben, die ich nicht kannte

Ich habe also ein paar Jahre lang große Trips wie diesen gemacht und ich war sehr dankbar, dass ich davon leben konnten. Vom Bücherschreiben, Filmemachen, Reden halten. Ich war sehr glücklich. Manche meiner Bücher haben sogar Leute gelesen, die nicht mit mir verwandt oder mit meiner Mutter befreundet sind. Für mich ist das die Definition von Erfolg. Ich habe E-Mails bekommen von Leuten, die mich gar nicht kannte. Die meisten schrieben mir: Ich würde so gerne auch solche Abenteuer erleben wie du! Aber ich kann das nicht! Ich bin kein richtiger Abenteurer wie du, ich wünschte, ich hätte dein Talent, deine Fähigkeiten, dein Geld!

Finde das Abenteuer vor deiner Haustür!

Das traf mich ziemlich, denn das war genau die Situation, in der ich vor ein paar Jahren war. Ich hätte diesen Leuten sagen können: Hör auf zu jammern! Kündige, verkauf dein Haus, lass dich scheiden und radel um die Welt! Aber wollte diesen Leuten zeigen: Du musst nicht um die ganze Welt reisen, um Abenteuer zu erleben. Du kannst das Abenteuer auch direkt vor deiner Haustüre finden! Du kannst ein normales Leben haben und trotzdem ein Abenteurer sein.

Ich überlegte, was die Leute davon abhält, Abenteuer zu erleben. Oft fehlt das Geld. Wie also kann man Abenteuer erleben ohne Geld? Mein Lieblingsbeispiel dafür ist: Ich habe mir mit meinen Freunden für fünfzig Euro vier große LKW Schläuche gekauft und wir sind darauf an einem Sommertag den Fluss runtergefahren. Wenn du das nicht genießen kannst, dann hast du keine Seele! Das ist besser als jedes Kanu-Abenteuer auf der Welt! Wenn du den Schlauch danach an den Strand legst, verwandelt er sich in einen luxuriöse Armsessel, in dem du am Feuer unter den Sternen einschlafen kannst. Am nächsten Morgen nimmst du ihn unter den Arm, springst in den Bus, fährst in die Arbeit und zurück in dein normale Leben.

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Katharina 'Kaddi' Kestler

Journalistin mit fränkischen Wurzeln und Wahlheimat München - liebt die Abwärtsbewegung, egal ob auf Ski oder mit Rädern.

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