Geboren in Großbritannien als Teil einer großen Familie arbeitet Carla Murphy unter anderem für Nikita oder Armer Sports und fängt 2016 als Marketingchefin bei der neuseeländischen Firma Icebreaker – dem Erfinder von Merino-Funktionskleidung – an. Beruflich glaubt sie an die nachhaltige Vision von Icebreaker-Gründer Jeremy Moon, dass die Natur selbst, die besten Fasern für Outdoorkleidung liefert. Privat fordert sie sich als Läuferin heraus und erzieht ganz nebenbei noch zwei Kinder. Outville hat mit ihr gesprochen.
Outville: Du hast eine wichtige Rolle bei Icebreaker, bist Ultra-Läuferin, hast zwei Kinder. Was motiviert dich, wie kriegst du das alles hin?
Carla Murphy: Jeden Morgen denke ich mir: Ok, gestern war es wirklich anstrengend, wir haben eine Menge zu tun, aber hey, heute ist ein neuer Tag. Man sucht sich selbst aus, mit welcher Einstellung man einen neuen Tag beginnt und ist selbst verantwortlich dafür, ob er gut oder schrecklich wird. Ich stehe einfach auf und versuche die Träume zu erreichen, die möglich sein könnten.
Warum ich das so mache? Bei mir hat sich viel geändert, seit ich Mutter bin. Das ist für mich mein wichtigster Job. Ich möchte meinen Jungs zeigen, dass sie eine Mutter haben, die immer für sie da ist, aber die auch verrückte Dinge machen kann, von denen andere nicht mal zu träumen wagen. Ich möchte ihnen beibringen, niemals zu sagen: Das kannst du nicht! Es ist auch egal, ob du es dann schaffst, wichtig ist nur, dass du es versuchst. Ich versuche für meine Jungs die beste Version von mir selbst zu sein. Das ist manchmal harte Arbeit. Aber auf der anderen Seite ist es wahres Glück, Inspiration von jungen Menschen zu bekommen, für die man verantwortlich ist und deren Einfluss auf die Welt man mitgestalten kann.
Mich nur auf die Arbeit zu konzentrieren, wäre nichts für mich. Nachdem ich meine Kinder bekommen habe, fing ich mit fünf Kilometer Rennen an, dann zehn, zwanzig und irgendwann kam ich bei vierzig Kilometern und dem Trailrunning an. Ich wollte erst wissen, wie weit ich es schaffe, dann wie technisch und schließlich wie lange ohne Schlaf. Immer wenn ich etwas geschafft habe, habe ich versucht die Grenze noch ein Stück zu verschieben und über meine Limits zu gehen. Nicht um zu gewinnen, sondern um gegen mich selbst anzutreten. Das kannst du nicht in der Arbeit oder in der Familie, das geht nur beim Sport.
Meine Rolle als Mutter und Läuferin macht mich auch in meinem Job zu dem was ich bin: Ich bin sehr anspruchsvoll und habe hohe Erwartungen, weil ich weiß, dass alles möglich ist und auch, dass es sehr leicht ist, Entschuldigungen zu finden.
Wie würde für dich ein perfektes Outdoorabenteuer aussehen?
Darf ich kurz egoistisch sein? Wenn ich beim Laufen lange alleine mit mir und meinen Gedanken sein kann und mich richtig anstrengen muss, gibt es mir am meisten. Du hörst nur dein Herz, deine Füße und die Geräusche der Natur. Sonst ist es leise, du siehst die Berge. Dann fühle ich mich mit der Natur verbunden, das finde ich sehr spirituell und intim. Ich laufe, um zu spüren. Um mich mit den Bergen verbunden zu fühlen. Dieser Moment, wenn du spürst, dass du klein bist und unwichtig, aber ein Teil dieser fantastischen Welt. Manchmal muss man wieder seinen Platz finden in dieser Welt – und es gibt keinen besseren Ort, um ihn zu finden, als außerhalb deiner Komfortzone.
Wieviel Neuseeland steckt in Icebreaker?
Als ich zu Icebreaker kam, hat mich interessiert, was unsere Marke ausmacht abseits des Kiwi-Spirits. Aber schnell kam ich zu dem Ergebnis, dass die DNA von Icebreaker – auch wenn es sich mittlerweile um eine globale Marke handelt – zutiefst neuseeländisch ist.
Diese entspannte Haltung, dieses „es wird alles gut, wir lösen das“ ist für mich etwas beängstigend, denn ich bin eine recht lebhafte Person, die klare Strukturen mag. Aber das Faszinierende an Neuseeländern ist, dass sie niemals eine Sekunde daran zweifeln, dass alles möglich ist. So wie Edmund Hillary, der erste Mensch auf dem Mount Everest: Sie stellen ihr Glück und ihr Schicksal nicht in Frage. Sie setzen sich ein Ziel und dann legen sie einfach los.
Ist die Outdoorkultur in Neuseeland eine andere als in England oder Europa?
Definitiv. Die Leute gehen raus in die Natur, um dort etwas zu erleben. In Neuseeland ist das der Startpunkt. Jeder ist von Geburt an mit der Natur verbunden. Die Insel – und es ist eine kleine Insel – ist umgeben von Meer. Kinder schlafen schon wenn sie sehr jung sind draußen unter den Sternen, gehen die längsten Wanderungen und klettern auf die höchsten Berge der Insel. Das ist völlig normal hier. Hier ist Outdoor also nicht nur ein Lebensstil, den man sich aussucht, sondern eine Art zu leben, die man nicht ablegen kann. Das eine ist ein Konzept, das die Marketing-Industrie einem überstülpt, das andere liegt in der Natur des Menschen.
Wie wichtig war Outdoor in deiner Jugend?
In meiner Jugend ging es nicht um Outdoor. Für mich stand die Familie im Zentrum. Wir haben eine sehr große Familie, die ein sehr enges Verhältnis pflegt. Cousinen und Cousins waren wie Brüder und Schwestern, Tanten und Onkel waren wie Väter und Mütter. Sowas ist sehr selten. Meine Großmutter hielt das alles zusammen. Sie war eine starke und großzügige Frau, geboren während des ersten Weltkriegs, die viel gab und den Menschen vertraute. Das hat mich sehr beeinflusst, nicht nur mich als Person, sondern auch meine Arbeit und die meisten Bereiche meines Lebens. Das wichtigste für mich heute sind Menschen. Sie machen mich neugierig und inspirieren mich.
Wie verändert sich die Outdoorwelt?
Ich glaube nicht nur die Outdoorwelt verändert sich, sondern unsere komplette Lebenswelt. wie wir arbeiten, wo wir arbeiten, wann wir arbeiten und was wir bei der Arbeit anziehen. Die Bedürfnisse des Konsumenten haben sich also verändert.
Es ist nicht immer das große Outdoor-Abenteuer, sondern manchmal ein Micro Adventure. Es gibt ganz unterschiedliche Formen: Du kannst in einen Zug springen, durch sechs Länder fahren und nur zwei Sachen zum Anziehen dabei haben. Das Einzige, was all diese Abenteuer verbindet, ist dass sie draußen stattfinden. Egal ob im Garten oder in der Wildnis.
Man kann dem Konsumenten auch kein Stereotyp überstülpen und sagen: der Outdoor Konsument ist so und so und braucht das und das. Es sind Individuen, die selbst entscheiden, was Outdoor für sie bedeutet. Der selbe Konsument kann ein paar Nike Schuhe besitzen, eine Yoga Hose, einen Petzl Eispickel und aber auch Rennautos fahren. Wir als Marke sollten den Konsumenten nur ermöglichen, tolle Abenteuer zu erleben, egal was sie vorhaben.
Wie wird sich die Outdoor Industrie in den nächsten zehn bis 15 Jahren verändern?
Ich kann nicht hellsehen, aber ich hoffe wirklich, dass wir noch nachhaltiger produzieren werden. Wir haben eine Verantwortung für den Planeten und dafür, wie wir ihn kommenden Generationen hinterlassen. Das ist eine große Herausforderung für die Industrie.
Was ist deine Vision für Icebreaker als Marke, ihre Produkte und ihre Kultur?
Icebreakers Wurzeln liegen in dem Glauben von Firmengründer Jeremy Moon, dass die Natur die Antwort auf alle Fragen hat. Ich möchte diese Vision gerne weiter tragen. Icebreaker gibt es jetzt schon 23 Jahre, wir sind von einem Pionier zum Vorbild für andere geworden. Vor 23 Jahren war es für Jeremy sicherlich nicht leicht, zu sagen: Ich glaube, es gibt eine Alternative für Kunstfaser, die natürlich ist. Viele haben ihm gesagt: Sei nicht dumm, das geht nicht. Die Outdoor Industrie braucht synthetische Fasern, um Funktionskleidung herzustellen, die warm hält oder die Menschen nicht schwitzen lässt. Diese Ablehnung, die Jeremy damals erfahren hat, ist Teil unserer DNA, sowie der Satz: Wenn es leicht wäre, würde es jeder tun. Also versuchen wir die Grenzen auch heute noch zu verschieben, uns aus unserer Komfortzone zu bewegen und weiterhin ein Pionier zu bleiben, im Bereich der natürlichen Funktionsbaselayer. Für mich ist Jeremy ein Vorbild: Erst war da nur ein Typ mit einer Idee und jetzt sind weltweit 400 Menschen so von seiner Idee überzeugt, dass sie für ihn arbeiten. Es gibt nicht viele Marken, die Ziele haben, die nicht rein wirtschaftlicher Natur sind. Marken, die von Menschen gegründet wurden, die bis heute inspirieren gibt es noch weniger. Wir wollen natürlich gute Produkte herstellen, aber den Menschen auch zeigen, dass das Leben immer das ist, was man selbst daraus macht.