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Merk’ dir das, innerer Schweinehund!

Rausquälen oder doch nochmal umdrehen? Bis ich die Antwort auf die Frage habe, kämpfe ich fast jedes Wochenende mindestens eine halbe Stunde lang mit mir selbst. Dabei weiß ich: Ein Tag draußen ist immer unbezahlbar. Manchmal sogar noch viel besser, als ich ihn mir vorgestellt habe zum Beispiel neulich auf dem Juifen im Karwendel.
Text & FotosChristian Wander

Der Wecker klingelt und reißt mich aus dem Tiefschlaf. Draußen ist es stockfinster. Ich bin noch hundemüde. Einfach umdrehen und weiterschlafen? Verdammt verlockend, wo doch die Kinder bei Freunden nächtigen und uns heute bestimmt nicht in aller herrgottsfrüh aus dem Bett flöten. Meine Frau neben mir schläft noch. Ich könnte später einfach behaupten, dass der Wecker nicht geklingelt hat. Auf der anderen Seite wollten wir endlich mal wieder eine Skitour zusammen gehen. Die Wettervorhersage für heute ist ziemlich gut und Neuschnee sollte es auch haben. Oh innerer Schweinehund, mach' dich klein! Ich kämpfe, quäle mich und rolle letztendlich doch aus dem Bett, schmeiße die Kaffeemaschine an und checke den Lawinenlagebericht. Oh Mann, jetzt schaut der auch noch gut aus für unsere geplante Tour auf den Juifen am Rand des Karwendels. Es hilft alles nichts, wir müssen los und zwar schnell. Frau wecken, kurzes Frühstück, Ausrüstung ins Auto laden und ab geht’s Richtung Achensee.

Noch ist vom angekündigten schönen Wetter nichts zu sehen. Dicke Wolkenschwaden umhüllen die umliegenden Bergspitzen. Hm, hätten wir vielleicht doch liegen bleiben sollen... Am Parkplatz stehen gerade mal vier Autos und das an einem Samstag Morgen am Ausgangspunkt einer Klassikertour. Irgendwie komisch… Vielleicht hatte mein Schweinehund recht, und der Juifen war doch keine so gute Idee?

Wir fellen auf, Partner-Check und los geht’s. Schon nach kurzer Zeit haben wir unseren Rhythmus gefunden. Um uns herum nur verschneite Tannen. Eine wohltuende Ruhe umgibt uns. Einzig das Knirschen der gleichmäßig vorwärtsgleitenden Skifelle begleitet uns. Über uns tun sich die ersten hellblauschimmernden Löcher in der dicken Wolkendecke auf. Das schaut vielversprechend aus. Gut, dass wir uns aufgerafft haben.

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Als wir bei der Falkenmoosalm (1.331 m) ankommen reißt es auf und wir sehen das erste Mal unser Ziel, den Juifen (1.987 m). Nach einer kurzen Pause und dem ersten Käsebrot folgen wir weiter der Aufstiegsspur. Das 360-Grad Panorama mit der markanten Guffert-Pyramide im Hintergrund ist beeindruckend. Je weiter wir nach oben kommen, umso mehr Schnee hat es. Und ja, er ist fluffig. Die Abfahrt wird richtig gut, so viel steht jetzt schon fest.

Eigentlich müssten wir jetzt an der Stelle sein, wo sich die Aufstiegsspur teilt: Nach links geht es auf die Hochplatte und geradeaus verläuft die Spur hinein in den Kessel zur Großzemmalm (1.535 m) und weiter zum Juifen. Hier teilt sich aber nichts. Es zieht nur eine Spur in Richtung Hochplatte. Warum ist denn heute noch keiner Richtung Juifen gegangen? Die Bedingungen sollten eigentlich laut Lawinenlagebericht für die Tour passen. Seltsam. Vielleicht passen sie doch nicht? Liege ich falsch und erkenne es nur nicht? Nach kurzer Beratschlagung entscheiden wir uns trotzdem weiterzugehen.. Mit einem leicht mulmigen Gefühl wühlen wir uns durchs Unterholz und sind bald wieder auf Kurs. Unberührter Schnee soweit das Auge reicht, keine einzige Spur, nirgendwo. Ein erhabenes Gefühl macht sich breit und so ziehen wir einsam weiter, steil hinauf zur Lämpereralm (1.700 m) und von dort weiter Richtung Gipfel.

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Die Bedingungen sind gut. Es hat weniger Neuschnee als vorhergesagt und auch der Wind hat auch nicht gewütet. Der Lawinenlagebericht trifft also zu. Instinktiv richtig entschieden – gegen den Schweinehund. Mit ausreichend Sicherheitsabstand queren wir die große Nordflanke der Marbichler Spitze. Immer noch weit und breit kein Mensch in Sicht. Nur ein paar Gämsen beobachten uns aus sicherer Entfernung. Als wir am Gipfelgrat ankommen sehen wir, dass er total abgeblasen ist und eher einer angezuckerten Herbstwiese gleicht. Also lassen wir heute den Gipfel Gipfel sein und schenken uns die letzten hundert Höhenmeter. Das Panorama hier oben und der Blick ins tief verschneite Karwendel ist einfach immer wieder grandios und entlohnt für den etwas längeren Aufstieg.

Und: Die Abfahrt war, wie ich sie mir beim Hochlaufen ausgemalt habe: richtig geil. Genau dieses Gefühl versuche ich mir zu merken, fürs nächste Mal wenn ich früh am Morgen im warmen Bett den inneren Schweinehund besiegen muss.

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Christian ist im Allgäu aufgewachsen und lebt mittlerweile mit seiner Familie am Staffelseee. Er liebt Campen und Kochen auf dem Einflammen-Outdoor-Herd. Wenn er nicht mit seinen zwei Jungs über Trails jagt, in den Monti Sibillini auf Trüffelsuche geht und Unternehmen in Sachen Brand Strategy berät, sitzt er entweder auf seinem Gravelbike, gleitet auf Pommesski über Skatingloipen oder zieht mit breiten Tourenski los. Bevorzugt vor der Haustüre, im Karwendel, in den Dolomiten und am Gardasee. Immer dabei eine gute Brotzeit und ein Wechselshirt.

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