Nicht wissen, was hinter der nächsten Ecke wartet

Wann ist man wirklich unterwegs? Wann stellt es sich ein, dieses unbeschreibliche Gefühl, wirklich im Moment zu leben? Für Fiona Stappmanns ist jede Reise mehr als das Entdecken neuer Orte. Es sind Gefühle, Begegnungen, Gerüche, die auch ihren Surf-Roadtrip durch Mexiko und El Salvador zu etwas besonderem machen.
Text & FotosFiona Stappmanns

Auf Reisen zu sein ist für mich viel mehr als einen fremden Ort zu entdecken. Es ist ein Gefühl, ein Gemütszustand. Ich liebe den Moment, wenn sich der Schalter umlegt und sie da ist. Diese unbändige Freude auf Neues, Unbekanntes, Erfahrungen, Erlebnisse, Gerüche, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Ecke wartet. Dieses Mal trifft es mich in Mexico City am Flughafen. Hinter mir liegen bereits 15 Stunden Flug, Umsteigen, Chaos. Die Nacht verbringe ich am Flughafen. Die Hotels sind hoffnungslos überteuert und mein größtes Talent ist, dass ich wirklich überall schlafen kann. Ich mache es mir auf dem kalten Boden so gemütlich wie es geht und denke: ja, jetzt bin ich unterwegs.

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Puerto Escondido - perfekte Wellen und die weltbesten Fischtacos

In Puerto Escondido treffe ich dann auch auf die zwei Mädels, mit denen ich gemeinsam reisen werde. Mexico gefällt mir auf Anhieb, der perfekte Ort, um sich einfach treiben zu lassen. Unser Tag besteht aus Surfen, Mangos, Hängematten und köstlichen Tacos mit teuflisch scharfer Salsa. Passend dazu, habe ich lediglich meine alte, analoge Minolta Kamera im Gepäck - die perfekte Art der Entschleunigung. Von den Wellen müssen wir sowieso nicht sprechen. Zicatela oder „the Mexican Pipeline“ ist mindestens genauso berüchtigt wie berühmt. Wenn dreizehn Fuß große Wellen herein rollen, schaut sie in den ersten Sonnenstrahlen des Morgens aus wie von einem Surf Magazin Cover. Die brechende Welle hört sich an wie ein Güterzug und scheint mindestens genauso tödlich. Wer tut sich das an, frage ich mich. Einige, denn schon jetzt ist das Wasser voller kleiner Punkte. Ein kleines Männchen nach dem anderen stürzt sich in die Closeouts. Einige schaffen es aus der Barrel, die meisten nicht. Nein muss nicht sein, wir surfen lieber die perfekte Linke la Punta, auch genannt „the jungle“ und das nicht nur, weil an einem Tag ein Krokodil uns Surfer in sekundenschnelle aus dem Wasser scheucht. Dort herrschen keine Regeln. Trotzdem sind gerade am frühen Morgen, wenn viele noch schlafen, unvergessliche linke Wellen zu ergattern.

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On the Road - Vulkane und Schlaglöcher

Nach zwei Wochen sagen wir México schweren Herzens adios und hasta luego und machen uns auf in Richtung El Salvador. Vor uns liegen 1.500 Kilometer mehr oder weniger befestigte Straßen, mehr Schlaglöcher als im besten Schweizer Käse, unzählige Stunden in überfüllten Bussen jeder Größe und Art, Grenzkontrollen mit dubiosen Gebühren, halsbrecherische Überholmanöver und lustige Australier. Es ist richtig anstrengend und doch genieße ich jeden Moment. Die Straßen schlängeln sich entlang steiler Berghänge, die einzige Konstante sind die ständigen Speed Bumps, die einen in regelmäßigen Abständen aus dem Dämmerschlaf holen. Mittelstreifen sucht man vergebens. Aber es scheint ohnehin Volkssport, möglichst schnell den Schlaglöchern auszuweichen, die so tief sind, dass man vermutlich in eine andere Galaxie befördert würde, sollte man eins erwischen.

„Denn wir leben auf einem blauen Planet, der sich um einen Feuerball dreht und die Meere bewegt und du glaubst nicht an Wunder?“ singt Marteria in meinem Ohr und wie er recht hat. Plötzlich öffnet sich der dichte Dschungel und gibt den Blick auf einen atemberaubenden Vulkan frei, dessen Gipfel von Wolken umhüllt ist. Siedlungen ziehen vorbei, Kinder spielen im Dreck, Frauen befördern gewagte Mengen an Mangos, Holz oder sonstige Alltagsutensilien auf ihren Köpfen und Strassenhunde liegen hechelnd im Schatten. Wie wohl die Lebenswirklichkeit dieser Menschen aussieht? Unvorstellbar für uns.

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El Salvador - Land of the Rights

Über kleine Zwischenstopps in den Bergen der mexikanisch-guatemalischen Grenze und dem wunderschönen Antigua gelangen wir ins kleine El Salvador. Dass dieses Land einen besonderen Platz in meinem Herzen haben wird, ist mir eigentlich sofort klar, als wir nach drei Tagen im Bus den ersten Blick auf die Küste erhaschen. Grüne Palmen, felsige Steilküste und dahinter das endlose Blau des Pazifiks. Jeder Ozean hat seine eigene Farbe und das pazifische Tiefblau ist mir mit Abstand das liebste. Perfekte, symmetrische Linien ziehen sich bis an den Horizont und versprechen den Surf meines Lebens. In fast jeder Bucht, die wir auf unserer Fahrt entlang des Küstenhighways passieren, brechen die perfekten rechten Points, für die dieses Land so bekannt ist. Nach endlosen Stunden holpriger Fahrt in einem winzigen Bus steigt die Stimmung ins Ekstatische und jede neue Welle, die wir entdecken wird mit Pfeifen und Johlen gewürdigt. Die israelischen Jungs, mit denen wir unterwegs sind, drücken sich an der Scheibe die Nasen platt, nur um keine Aussicht zu verpassen. Wir können es kaum erwarten, endlich anzukommen.

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Gefährlich? Nein! Unglaublich herzlich!

Neben vielen Horrorgeschichten hörten wir auch widersprüchlich von der Herzlichkeit der Menschen. Eine solche Offenheit und Hilfsbereitschaft hatten wir jedoch bei weitem nicht erwartet. Oft genug wurden wir in Mexiko gewarnt, schließlich ist El Salvador das Land mit der höchsten Mordrate pro Kopf. Aber unsicher fühlten wir uns zu keinem Zeitpunkt. Am ehesten vielleicht, als wir von einem Security Guard beim nächtlichen Baden mit einer Machete aus einem fremden Pool gescheucht werden - mitsamt Juan, unserem aufblasbaren, pinken Flamingo. Ansonsten läuft unser Leben hier eher in beschaulicher Entspanntheit ab - surfen, essen, schlafen eben. In der Morgendämmerung aufstehen, ein Snickers auf dem Weg zum Spot, in der blauen Stunde rauspaddeln, während Pelikane über die Wellen ziehen und kein Wind geht. Es ist etwas unwirklich, als würde man in den Wolken schweben oder in einem komplett anderen Universum. Surfen bis sich die Arme anfühlen als wären sie aus Pudding, lecker frühstücken, Siesta in der Hängematte, ein Smoothie aus frischen Früchten zum Mittag und wieder ab ins Wasser. Cuba Libre am Abend, dazu Purpusas von Straßenständen oder Wellblechhütten. Das Essen ist typisch el salvadorianisch, gefüllte Tortillas, oft mit Käse, Hühnchen und schwarzem Bohnenmuß, dazu Kraut und Salsa. Wenn es mal etwas länger dauert, bis die Tortillas fertig sind, kann es durchaus sein, dass ein kleiner Junge ein schlafendes Huhn aus dem Baum pflücken musste, das dann wenig später auf unserem Teller landet. So fällt auch die dortige Definition von vegetarisch aus. Hühnchen? Wächst ja auf dem Baum.

Sind uns die Wellen mal zu groß gibt es genug zu entdecken. Unser Gastgeber Pedro führt uns zu einem versteckten Wasserfall im Dschungel. Der Weg schlängelt sich vorbei an den unzähligen Kaffeeplantagen, für die das Land berühmt ist und an Schlangen, die sich in der Sonne wärmen. Es ist grün und unfassbar schwül. Das Bad im Wasserfall ist umso besser. Eigentlich wollten wir bis Nicaragua reisen, bringen es aber einfach nicht übers Herz weiter zu ziehen. Also bleiben wir. Warum auch nicht? Es fühlt sich doch richtig an.

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Profile Fiona

Fiona schreibt ihre Doktorarbeit über Nachhaltigkeit in der Outdoor Industrie und arbeitet als Fotografin. Dass man da des Öfteren für Feldstudien in die Natur muss, versteht sich von selbst. Ob Mountainbiken, Wandern, Klettern, Splitboarden oder Surfen, so richtig Spaß hat sie erst, wenn die Mutter daheim in Ohnmacht fallen würde, wüsste sie was ihr Sprössling treibt. Ist sie nicht gerade am Meer, lebt Fiona in Innsbruck und St. Gallen. Dabei stets im Gepäck: Schweizer Schoggi und ihre Kamera.

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